Ich sitze entspannt auf schwarzen Steinen an einem naturbelassenen Strand. Hinter mir ragt eine eindrucksvolle Steilküste auf. An ihrem Fuß schläft ein weißgewaschenes Dorf im Miniaturformat vor sich hin. Der Wellengang ist energisch und geräuschvoll. Die Steilwand hinter verstärkt das mit einem Echo. Doch ich sitze in sicherer Entfernung zu den Wellen und kann die frühlingshafte Sonne auf meinem Gesicht genießen. Hier mache ich etwas, was ich eigentlich nie tue und schon verlernt hatte: Nichts.
Energie tanken durch die Power des Ozeans
Das Meer auf La Gomera hat eine gewaltige Energie. Ich liebe es, die Kraft des Meeres zu spüren und seinen tosenden Wellen zuzuhören und zuzusehen. Zum Baden ist es auf der Kanareninsel nicht immer ideal. Das hat mich nicht gestört, da mir der Atlantik im Winter ohnehin zu kalt ist. Wer aber gerne baden möchte und dem die Wellen zu hoch sind, kann das an einigen Stellen auf La Gomera tun, an denen es Wellenbrecher gibt. Auch wenn die Insel klein ist, gibt es doch für jeden den richtigen Strand. Wer Wellen und kaltes Wasser mag, aber geschützt sein möchte, für den steht im Sommer am Strand von Hermigua ein Meerwasserpool zur Verfügung. Besonders romantisch ist es am Meer, wenn auf der Westseite der Insel die Sonne untergeht. Am Strand des Valle Gran Rey findet dann das allabendliche Trommeln der „Hippies“ statt. Ein Mythos, der sich aus den 60er Jahren erhalten hat. Ab dieser Zeit haben sich einige Aussteiger auf der Insel und vor allem im Valle Gran Rey angesiedelt. Statt Hippies trifft man heute am Strand von Gran Rey in meinen Augen eher Hipster oder bestenfalls Bohos. Mittlerweile betreiben die Ausgewanderten oftmals Bio-Fincas oder verdienen in anderer Weise mit dem Tourismus Geld, was eher nicht zum allgemeinen Bild eines Hippies passt. Auf jeden Fall war das Trommeln bei Sonnenuntergang ein besonderes Erlebnis mit Kultfaktor und hat die Schönheit des Anblicks untermalt.
Turismo Rural als Möglichkeit, komplett abzuschalten
Für eine kleine Auszeit bietet sich La Gomera an, denn die Insel verspricht landschaftliche Schönheit jenseits des Lärms und der grellen Neonlichter der berüchtigten Bettenburgenstädte auf den Kanaren. La Gomera ist wirklich überall idyllisch, Übermäßig verbaute größere Städte, Industriegebiete und ähnliches existieren auf der Insel nicht. Turismo Rural bedeutet, sich direkt auf dem Land einzumieten und ist die spanische Form des Agrotourismus. In Hermigua hatten wir in unserem kleinen Ferienhaus absolute Ruhe. Hinter dem Haus wuchsen Zitrusfrüchte, unter uns Bananen und am Steilhang über uns jede Menge Agaven und Feigenkakteen sowie vereinzelt kanarische Dattelpalmen. In der Nähe unseres Hauses flog an einem Morgen ein Falke vorbei. In diesem Umfeld kann man wunderbar entschleunigen und die kleinen Dinge wie z.B. schöne Pflanzen oder die Begegnung mit einem Tier wertschätzen.
Neue Horizonte durch weite Blicke
Die Terrasse vor unserem Haus hat uns großartige Blicke auf den Vulkan Teide (3.700 m) auf Teneriffa geboten. Da wir bei unserem Turismo Rural-Aufenthalt Selbstversorger waren, mussten wir uns nicht an vorgegebene Frühstückszeiten halten, konnten oft den Sonnenaufgang über dem Tal genießen und auch zu dieser magischen Zeit gleich loswandern. Auch tagsüber waren die Ausblicke auf den Teide und den tiefblauen Ozean unglaublich gut. Ich habe diesen Blick insgesamt vermutlich an die huntertmal fotografiert. Besonders beeindruckt hat mich das Szenario zusammen mit den Lichtern des Hermigua-Tals. Die Terrasse eignete sich auch, um Meditation, Yoga und Qi Gong zu praktizieren. Einer meiner Vorsätze für das neue Jahr ist es, das alles regelmäßiger zu machen.
Traumhafte Wanderungen
Für Wanderungen ist die Urlaubsform des Tourismo Rural ein Segen: Unser kleines Ferienhaus lag direkt an einem sehr wenig begangenen Wanderweg in den Bergen, der an einer Steilwand hinaufführte. Erst hatte ich mir den im Wanderführer schwarz gekennzeichneten Weg nicht zugetraut, dann lockte mich aber doch das Erlebnis, bei Sonnenaufgang einfach von unserem Haus aus loszugehen. Das war dann auch das vielleicht atemberaubendste Erlebnis unserer Reise. Wenn Ihr nicht so gerne wandert, dann sollte Euch das aber nicht von einer Reise nach La Gomera abschrecken. Die Insel ist trotz Ihrer Überschaubarkeit eine tolle Roadtrip-Destination. Von A nach B ist man erstaunlich lange unterwegs, da die Insel eigentlich nur aus tiefen Schluchten und einem Hochland mit uraltem Nebelwald (UNESCO-Welterbe!) besteht. Auf der Insel kommt man an den Straßen an unzähligen Aussichtspunkten, so genannten Miradores vorbei. Für die passende Musik zum Roadtrip kannst Du Dich hier inspirieren lassen. Um sich mit Aussichtspunkten, Miradores und anderen, näher zu beschäftigen, empfehle ich Dir diesen ausführlichen Artikel, der schöne Beispiele näher vorstellt.
Abwechslung durch kulturellen Charme
Turismo Rural muss nicht zwangsläufig bedeuten, nur in der Umgebung des Dorfes zu bleiben, wo die Ferienunterkunft liegt. La Gomera bietet auf seiner kleinen Fläche eine Fülle an zauberhaften Dörfern mit eigener Architektur. In den üppig mit Palmen gesäumten Schluchten kann man typische langgezogene altkanarische Häuser bewundern, in den küstennahen Orten isgesamt eine farbenfrohe Bauweise, malerische Kirchen und zauberhafte Kapellen. Die bunte Architektur hat mich an die Karbik erinnert, an Kuba oder Mexiko, letzteres auch wegen der Einbettung in eine Landschaft mit Kakteen und Agaven. Zum karibischen Flair trägt auch die Tatsache bei, dass man in den Bars oder im Radio oftmals Salsa-Rhythmen hört. Die Bewohner der kanarischen Inseln fühlen sich mehr mit Lateinamerika verbunden als mit Spanien, vielleicht weil viele dorthin ausgewandert sind.
Besonders gut lässt sich die Architektur La Gomeras in der Inselhauptstadt San Sebastián erleben. San Sebastián fühlt sich nicht wie eine Hauptstadt an. Das Lebenstempo des Städtchens ist slow. Hier kann man die typisch kanarischen Holzbalkone rund um die Hauptplätze bewundern. Die Plätze (Plazas) sind sehr angenehm, um unter den schönen Bäumen zu sitzen oder einen Café in der Sonne zu genießen. Ansonsten bietet der Ort Agulo im Norden ein schönes Altstadtflair. Aber auch das Dorf Hermigua, in dem sich unser Ferienhäuschen befand, bietet so manche architektonische Augenweide.
Vom Aussteigen zur Auszeit
La Gomera ist ein Traum und von Deutschland aus im Vergleich zu Fernzielen schnell mit einer längeren Mittelstrecke und einer überschaubaren Fährzeit zu erreichen. Ich kann gut nachvollziehen, warum viele Hippies Ende der 60er Jahre nach La Gomera auswanderten. Doch auch gerade heute ist La Gomera und die Möglichkeit des Turismo Rural für Menschen mit einem hohem Lebenstempo ein wertvoller Ort, der nicht nur einprägsame Erlebnisse, sondern auch ein Runterschalten möglich macht, auch wenn es nur für ein paar Tage in einem Landhaus ist.
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Der Beitrag Turismo Rural: Kleine Auszeit auf La Gomera erschien zuerst auf HIDDENTRACES.